Kreaturen nach Maß – Tiere und Gegenwartsdesign

Ob als Nahrungsmittel, wissenschaftliches Forschungsobjekt oder sozialer Gefährte: Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist komplex und voller Widersprüche. Der Drang, sich Tiere zu Nutze zu machen, zieht sich durch die menschliche Geschichte. Wenn jedoch diese Optimierung so weit reicht, dass sie als Organspender dienen, im Labor künstlich gezüchtet oder sie Schön-heitsoperationen unterzogen werden, kann man dann überhaupt noch von „Tieren“ sprechen?

In der Ausstellung „Kreaturen nach Maß“ im Marta Herford fragen Designer*innen in drei Kapiteln nach dem richtigen Maß der Gestaltung und entwerfen zukunftsträchtige Perspektiven auf die Beziehungen zwischen Mensch und Tier.
Zwischen Zuneigung, Dominanz und Nutzung: Das Kapitel „Gefährten und Gegenüber“ thematisiert das Teilen von Lebensräumen mit Tieren sowie deren Vermenschlichung. Die Tierindustrie profitiert wie nie von einer kaufkräftigen Kundschaft, die ihren haarigen Kameraden Geburtstagspräsente kauft oder sie zur Erholung auf Wellnessfarmen schickt. Haustiere werden so zu Spielzeugen und Projektionsflächen menschlicher Bedürfnisse. Zugleich zeichnet sich aber auch eine neue Sehnsucht der Menschen nach einer Rückkehr zur Natur ab. Thalia de Jong zeigt mit ihrer Videoinstallation „Golden Boy“ (2015) das preisgekrönte gleichnamige Meerschweinchen, das frisiert und so zu einem Ebenbild menschlichen Schönheitswahns wird. Ähnlich verhält es sich mit der Spiegelinstallation „Architecture for Dogs: Paramount“ (2012) des Designers Konstantin Grcic, die für Pudelhunde von stolzen Besitzer*innen die perfekte Bühne bietet — und dies obwohl Hunde ihr Spiegelbild nicht erkennen können.
Der britische Designer Thomas Thwaites hingegen reflektiert in seinem Selbstversuch „GoatMan. A Holiday from Being Human“ (2015) den Wunsch, sich von allen menschlichen Zwängen zu lösen. Er schlüpfte in die Rolle einer Ziege; eigens für das Projekt angefertigte Prothesen ermöglichten ihm den Vierfüßlergang, um auch felsige Hänge zu besteigen.

Wie kann zwischen „echten“ und „gestalteten“ Tieren überhaupt noch unterschieden werden? Das Kapitel „Ressourcen und Ersatzstoffe“ führt den Umgang mit ihnen als Rohstofflieferanten vor Augen. In nahezu allen Produkten kommen tierliche Stoffe zum Einsatz oder es werden Tierversuche zu medizinischen und kosmetischen Zwecken unternommen. In der Lebensmittelindustrie wird versucht, Tiere möglichst durch vegetarische und vegane Alternativen zu ersetzen; in der menschli-chen Transplantationsmedizin wiederum kommen sie bereits als Organspender zum Einsatz. Mit dem Objekt „Purrrr“ (2015) schuf der Designer Dietrich Luft eine Weste aus Kunstfell, die das vibrierende Schnurren einer Katze imitiert. Bei diesem künstlichen Ersatzprodukt, das sich wohltu-end auf Körper und Psyche des Menschen auswirkt, entfällt die Pflege und Fütterung einer Katze. Susana Soares‘ „Insects au Gratin“ (2011) entstand in der Auseinandersetzung mit der Frage, wie die zukünftige Ernährung mit der steigenden Weltbevölkerung gewährleistet werden kann. Aus dem eiweißreichen Fleisch von Insekten hat sie sandfarbene Objekte mittels einer 3D-Drucktechnik entstehen lassen, die aufgrund ihrer visuell ansprechenden Strukturen die ungewöhnlichen Zutaten vergessen lassen.

Mit dem dritten Kapitel „Optimierung und Zukunftsvisionen“ werden die Eingriffe des Menschen in der Tierwelt vor Augen geführt und alternative Zukunftsszenarien entwickelt. Durch die Neucodie-rung von Genen werden positive Effekte für die Umwelt versprochen, aber stellt diese manipulierte Welt auch eine erstrebenswerte Zukunft dar? Mit dem „Fool’s Fowl“ (2013), dem Narren-Geflügel, von Pinar Yoldas scheint eine Szenerie aus einem Science-Fiction-Film Realität geworden zu sein: Nach dem Vorbild eines herkömmlichen Huhns entwickelt sie eine Minimal-Variante, die lediglich auf die Produktion von Eiern und Fleisch reduziert und aller überflüssigen Gliedmaßen und Bewusst-seinsorgane entledigt wurde. Damit verschwinden auch die ethischen Konflikte der Massentierhal-tung. Bei Rayfish Footwear (2012) von Next Nature Network wurden angeblich die Häute von genetisch manipulierten Stachelrochen für die Schuhproduktion verwendet. Mit einem Video über das fiktive Start-up wird die ethische Frage aufgeworfen, inwieweit man Tiere für Konsumzwecke manipulieren darf.
Am Ende des Rundgangs können die Besucher*innen auf einem erhöhten „Ausguck“ Platz nehmen und mit Blick auf die Ausstellung ihre eigenen „Kreaturen nach Maß“ in einem Zeichenheft hinterlas-sen.
Das Ausstellungsprojekt entstand nach einem Konzept von und in Kooperation mit der Designerin und Kuratorin Tanja Seiner, München. „Kreaturen nach Maß“ wird gefördert durch OCA, Office for Contemporary Art Norway und durch Materialgaben von Flötotto Systemmöbel GmbH unterstützt.

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