Glas und Beton— Manifestationen des Unmöglichen
Mit „Glas und Beton – Manifestationen des Unmöglichen” (29.02.- 07.06.20) widmet sich Marta Herford in einer großen Gruppenausstellung zwei au-genscheinlich sehr unterschiedlichen Materialien, die mit großen Architektur-visionen verbunden sind. Wie in einem alchemistischen Labor erkunden die Künstler*innen der Ausstellung anhand von Skulpturen, Malereien, Installa-tionen und Videos den Weg der Materialien zwischen Fließen und Erstarren. Sie testen die Grenzen des Möglichen aus, um brüchig gewordene Gesell-schaftskonzepte neu zu befragen.
Zwischen fragiler Zartheit und kühler Erhabenheit, zwischen schillerndem Glanz und spröder Oberfläche: Wie kaum ein anderes Material versinnbildlichen Glas und Beton sowohl Macht und Wohlstand als auch gesellschaftliche Utopien. Aus architektonischer Perspektive revolutionierten die beiden Stoffe gerade auch aufgrund ihrer optischen Unterschiede den Hochbau und ebneten den Weg für völlig neue Bauformen und Gebäudefantasien. Aber auch Künstler*innen setzen sich in der heutigen Zeit, in der die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten lebt, mit diesen bedeutenden Materialien auseinander.
Kritisch thematisieren sie in dieser Ausstellung sowohl die Schönheit farbigen Glases als auch die raue Eleganz von Beton, um die Betrachter*innen in die Rolle des träumenden, visionären Welten-bauers zu versetzen und zugleich diesen „schönen Schein” energisch zu zerschmettern. Dabei werden die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten und Bedeutungszusammenhänge von Glas und Beton austariert, mit der Museumsarchitektur in Verbindung gebracht und ihre zentrale Bedeutung in der heutigen Kunst verdeutlicht.
Zum Start der Ausstellung wird es in den großen Gehry-Galerien erstmals den fest eingerichteten museumspädagogischen Aufenthalts- und Arbeitsraum „Die Insel im Marta” geben, der 2020 vom belgischen Künstler Adrien Tirtiaux gestaltet wurde. Innerhalb dieser Installation können Besu-cher*innen in Workshops Beton gießen, um eine eigenwillige Palmenstruktur wachsen zu lassen, weiterführende Informationen entdecken, ausruhen oder auch eigenständig und spielerisch mit Glas und Beton umgehen. „Die Insel im Marta“ wird in Anlehnung an das jeweilige Ausstellungsthema über das ganze Jahr zu einem besonderen besucherzentrierten Ort, an dem Interaktion, Partizipation und die Auseinandersetzung mit der Kunst gefördert, aber auch das selbstbestimmte Verweilen ermöglicht wird.
„Glas ist jener Baustoff, der Materie und doch mehr als gewöhnliche Materie bedeutet.” (Bruno Taut, 1919)
Hinter seiner Ästhetik verbirgt der „Transformationsschnitt“ (2015) von Louisa Clement einen ernsten Unterton: Die Installation zeigt auf den ersten Blick tiefschwarze, unregelmäßig geformte Glassteine, die im Licht schimmern. Jedoch beinhaltet jedes einzelne dieser Glaselemente ein Abfallprodukt des Krieges, entstanden aus dem Giftgas Sarin, wie es 2013 im Syrienkonflikt einge-setzt wurde.
Mit „TONDO N°XH 7“ (2016) verweist Daniel Buren auf die sakrale Tradition von gotischer Glasmale-rei: Das aus Glas bestehende Rundbild hängt wie ein schwebendes Fenster vor einer Wand innerhalb des Marta-Doms. Durch das Licht, das durch die farbigen Scheiben auf die dahinterliegende Fläche projiziert wird, entsteht eine besondere Beziehung zwischen Ausstellungsraum und Werk.
Wie kostbare Kristalle aus einem Naturkundemuseum erstrahlen die Glasskulpturen von Kai Schiemenz, die auf grauen Betonsockeln ruhen. Als Ausgangspunkt für diese Steine-Serie verwendete der Künstler reale Steinbruch-Stücke, die anschließend in einem langwierigen Prozess und in Zusammenarbeit mit einer nordböhmischen Spezialwerkstatt aus Glas gefertigt wurden und sichtbare Spuren ihrer Herstellung aufzeigen.
„Die Grenzen des Betons sind die Grenzen unserer Phantasie.” (Bernd Hillemeier, 2007)
Die Künstlerin Isa Genzken spielt mit den rissigen und brüchigen Beton-Oberflächen ihrer beiden namenlosen Skulpturen. Die lange gebrochene Stele mit kreisrunden Aussparungen erinnert an ein Lautsprechergehäuse, während aus der zweiten Skulptur zwei Antennen wie Fühler aus dem bröckeligen Beton wie „Weltempfänger” herausragen.
Obwohl die Gouache-Zeichnungen von Isa Melsheimer massive Betonbauten der 1960er und 1970er Jahre thematisieren, erscheinen sie durch ihre zarte Farbigkeit leicht, fast schwerelos. Durch die vollkommene Trennung von ihrer historischen Umgebung richtet sich der Fokus der zumeist brutalistischen Bauwerke auf die formale Gestaltung der visionären Baustrukturen.
Túlio Pinto beschäftigt sich immer wieder mit Fragen zum Gewicht von Beton oder der Dehn- und Formbarkeit von Glas. Auch innerhalb seines Werks „Complicity #5” (2016) stellt er diese beiden Materialien auf die Probe: Die Objekte aus Glas und Beton sind durch einen Faden miteinander verbunden. Und gleichzeitig wirkt es so, als habe der schwere Beton so viel Kraft auf das Seil ausgeübt, dass das Glas dem Druck nachgeben musste. Damit scheint Pinto die Naturgesetze wie Schwerkraft oder Thermodynamik auszuhebeln.
In der Videoinstallation „Spelling Dystopia” (2009) von Nina Fischer & Maroan El Sani steht die bedrohliche Betonkulisse der Insel Hashima im Mittelpunkt, die einst auf einem Felsen von 160 x 450 Metern errichtet wurde. Auf dem Höhepunkt des Kohleabbaus wurde sie von rund 5000 Menschen bevölkert und ist mittlerweile verlassen. In dem Film werden die Kindheitserinnerungen eines ehemaligen Bewohners mit dem Mythos verwoben, den die Populärkultur inzwischen um den gespenstischen Ort gesponnen hat.
Die übrigen Künstler*innen Francis Alÿs, Peter Bialobrzeski, Oliver Boberg, Matti Braun, Andreas Bunte, Louis De Cordier, Alia Farid, Thomas Florschuetz, Daniela Friebel, Vincent Ganivet, Jakub Geltner, Elín Hansdóttir, Mona Hatoum, Philipp Hennevogl, Stephan Huber, Thomas Huber, Aernoudt Jacobs, Jeffrey James, Jan Muche, Martin Mühlhoff & Christian Vossiek, Olaf Pernice, Robin Rhode, Kilian Rüthemann, Wolfgang Schlegel, Tatiana Trouvé, Lena von Goedeke, Martin Walde sind mit weiteren zeitgenössischen Werken vertreten, darunter auch durch mehrere Neuproduktionen.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit Dr. Anne Schloen, Köln.
Unser Dank geht an die Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst als Ausstellungsförderer, Overtoon, platform for sound art als Ausstellungsunterstützer sowie Fischer AMPS als weiterer Unterstützer.
In Form von Materialien standen uns darüber hinaus Sakret Bausysteme GmbH & Co. KG, Steinpunkt – Natursteine für Ihren Garten und W. Westerwelle GmbH + Co. KG zur Seite.