Analogien oder der Spiegel der Welt (Kapitel 59)

Durch eine Dokumentation wird mir bewusst, wie ein Kernproblem, sich über die ganze Welt erstrecken kann.

Analogien oder der Spiegel der Welt

Heute gibt es wieder einen kleinen Ausflug, der über Anekdoten aus dem Alltag hinausgeht. Wir sitzen im metaphorischen Flieger nach “Politische Anstöße, die speziell die USA betreffen” und landen am Flughafen “Wieder was Dolles dazu erkannt.” Oder auch nicht.

Denn vielleicht wissen alle, die den Blog lesen, schon alles, was jetzt kommt. Aber Diskussionsstoff ist immer gut. Es geht zum einen um das Thema Identität. Zum anderen, um seine direkte oder indirekte Verknüpfung zur Banalisierung von Leid, die rassistisch motiviert auftritt.
Auf Netflix, meiner persönlichen digitalen Bibel, kam neulich eine Dokumentation über Rachel Dolezal. Sie ist eine ehemalige Professorin und Menschenrechtsaktivistin, die speziell für die Rechte von people of colour auf die Straße ging. Sie selbst trat als schwarze Frau auf. Bis irgendwann heraus kam, dass sie weiß ist. So geschrieben und ohne Bilder, wirken meine Worte sehr seltsam. Wie kann man nicht sehen, ob jemand schwarz oder weiß ist? Aber wenn man sich die Doku ansieht, dann ist es tatsächlich nicht zu erkennen, ob sie eine sehr dunkelhäutige Weiße oder eine ebenso hellhäutige Schwarze ist. Sie bewegt sich genau zwischen beiden Feldern. Zuerst drehte sich die Debatte darum, dass Rachel Dolezal gelogen hatte. Sie hatte niemandem verraten, dass sie weiß ist. Doch dieser Knackpunkt der Geschichte lief aus wie ein Tintenfüller und bildete einen hässlichen Fleck, der sich um die Sache drehte, dass sie überhaupt als Schwarze lebt, wo sie es doch nun nicht ist.
Sie hat ihre Professur niedergelegt und ist von ihren Aktionen als Menschenrechtsaktivistin zurückgetreten.
Ich gehe in diesem Kapitel auf das Thema Rassismus ein, da es ein wichtiger, wenngleich auch tragischer Aspekt der amerikanischen Geschichte ist. Da kann das Land noch so sehr „the land of the free“ sein, wie es in der Nationalhymne heißt. Die Ungleichbehandlung von Menschen verschiedener Hautfarben hat enorme Auswirkungen auf das Leben aller. Und mit „the home of the brave“ sind die Kriegveteranen gemeint, die traumatisiert und mittellos zurückkehren, um nicht selten als Obdachlose zu enden. Aber Letzteres nur am Rande.
Zurück zu Rachel Dolezal. In der Dokumentation wird sie in Dutzenden Situationen gezeigt, in denen ihr aus der schwarzen Community Leute, Hasskommentare auf facebook ins Profil tackern. Einer davon: „I would not piss on her if she was on fire.“ Ja, dass man auf jemanden nicht pissen würde, wenn er/sie in Flammen steht, das ist nur so ein Spruch. Damit meint man weitestgehend, dass man kein Fan von jemandem ist. Trotzdem ist er schwer verdaulich.
Doch wie schon erwähnt-es geht hier nicht so sehr um die Tatsache, dass Rachel anfänglich gelogen hat. Viele Mitglieder of colour fühlen sich an das sogenannte Blackfacing erinnert, das früher von Weißen betrieben wurde, um zu zeigen, dass sie sich die schwarze Hautfarbe einfach überziehen können und somit schwarze Menschen an sich, als eine Art Verkleidung dastehen ließen. Wie das Uneigentliche, die Abweichung von der Norm, über die man sich lustig macht. People of colour kritisieren, dass Rachel nie Opfer von Diskriminierung geworden ist und somit kein Recht darauf hat, schwarz zu sein. Sie müsse es sich erst verdienen bzw. kann es sich nicht verdienen, diese Hautfarbe zu haben.
Doch Rachel Dolezal sieht genau das nicht so. Sie empfindet sich als schwarz und es fällt der Begriff „transracial“, analog zu „transgender“, was Menschen bezeichnet, die im falschen Geschlecht geboren wurden. Mir ist dieser Gedanke auch gekommen. Wenn ein Mann, der sich als Frau empfindet, sich entscheidet, als Frau zu leben, dann würde ich nicht auf die Idee kommen, ihm zu sagen, er müsse sich das Frau sein erst verdienen. Und zwar, indem er dikriminiert wird. Die Analogie funktioniert 1:1, denn spätestens seit #Metoo, fällt bei dem einen oder der anderen der Groschen, dass Frauen wohl tatsächlich diskriminiert wurden/werden. Was ist bei verschiedenen Hautfarben der Unterschied dazu?
Die people of colour, die in der Dokumentation zu Wort kommen, argumentieren, dass sie sich nicht einfach so eine weiße Haut anziehen und bei Bedarf wieder ausziehen können. Dagegen wiederum steht, dass Rachel nie nach Bedarf als schwarz oder weiß herum gelaufen ist. Sie ist konsequent schwarz und vielleicht hat zu ihrem Dafürhalten zu der Konsequenz gehört, dass sie nicht sagt, dass sie „eigentlich weiß“ ist.
Unser Gehirn versucht, sich automatisch eine Meinung zu bilden, ob es dazu qualifiziert ist oder nicht, ist ihm egal. Meins übt sich auch fleißig darin. Ich versuche es bei dem heiklen Thema aber zu stoppen, denn ich bin nicht betroffen und empfinde es als sperrig, ein eindeutiges Ergebnis meiner Ansicht zu liefern. Trotzdem habe ich bzgl. der verschiedenen Facetten, die hier im Farbkasten zu finden sind, Teilmeinungen, Argumentschwerpunkte und Ansichten vorzuweisen.

Doch nicht nur in den USA geht die Rassismus-Debatte weiter wie die nicht enden wollenden Wellen nach einem Sturm über dem Meer. Vor kurzem haben in Deutschland die Rapper Kollegah und Farid Bang einen Echo gewonnen. Da können sie stolz sein. Der Echo war für ein Album, auf dem u.a. ein Songtext mit folgender Zeile zu hören ist: „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“. Da können sie nicht so stolz sein. Glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren eine Dynamik entwickelt, bei der solche Vorkomnisse, häufig radikale Konsequenzen haben. Musiker haben ihren Echeo zurück gegeben, es gab gewaltige Shitstorms und die Plattenfima hat ihre Zusammenarbeit mit den Jungs gekündigt. Die Plattenfirma? Bei welchem Label waren die denn? Bei unserem, stelle ich fest. Ach du heilige Scheiße.
Stephan und ich diskutieren über die antisemtitische Songzeile. Das Problem bei diesem „Witz“ ist, dass der doppelte Boden fehlt. Wenn man Witze über Hitler, den zweiten Weltkrieg oder irgendeine Form von Gewalt macht, dann gehört zurecht Folgendes in den Knigge: Mach den Witz über die Täter oder finde ein sehr originelles Wortspiel, das, wenn überhaupt, stärker ist, als die Beleidigung. Der Witz, der sich auf die Opfer richtet wie ein geladenes Gewehr, ist was? Eine Kritik woran? An den Menschen, die sowieso schon Opfer sind? Es passiert in diesem Fall nämlich wiederum Folgedes: Die Ausschwitz Insassen mussten so schwere Zwangsarbeit leisten, dass sie nur noch aus Muskeln und Haut bestanden. Kollegah und Farid Bang setzen diese Unmenschlichkeit in denselben Kontext, wie ein Sport-Workout im Fitnessstudio. Und verhöhnen damit die Menschen und banalisieren das Schicksal derer, die ihr Aussehen sicher nicht als Errungenschaft für’s Ego gewertet haben.
Es gibt einen Witz, der analog zu dem Holocaust Debakel, im Bezug auf Hautfarbe, einen Einblick gewährt, was es bedeutet, wenn ein doppelter Boden vorhanden ist: „Mein Humor ist so schwarz-der geht gleich Baumwolle pflücken“. Auch das kann man geschmacklos finden. Doch in diesem Satz geht es meiner Ansicht nach, mehr um das Wortspiel, und eigentlich überhaupt nicht darum, es gutzuheißen oder zu banalisieren, was mit Menschen auf Baumwollplantagen passiert ist. Es geht nämlich um die sogenannte „Äquivokation“ (Mehrdeutigkeit) des Begriffs „schwarz“, der sich in zwei verschiedenen Kontexten bewegt („Schwarz als Hautfarbe“) und („Schwarz als düstere Form von Humor“), aber in EINEM Kontext verwendet wird. Der Lacher entsteht durch das Wortspiel. Genau das fehlt bei den Lyrics der beiden Gangstas. Auch das Argument „Das ist im Gangsta Rap einfach so und gehört dazu“, ist ausgesprochen müde. Diskriminierung und Gewalt als Stilmittel zu schützen, könnte man so gesehen ad absurdum führen und sagen:“Wenn es im Gangsta Rap dazu gehört, Kinder zu verprügeln, wäre das ein schützenswertes Stilmittel?“

Stephan bemerkt, dass es vor der Echo Verleihung niemanden interessiert hat, dass diese Lyrics verwendet wurden. Erst durch die Aufmerksamkeit wurde seiner Meinung nach, in Nachhinein, die Empörung dran geklebt, die eigentlich schon vorher Teil der Sache hätte sein müssen.
Da stimme ich ihm zu.
Diese beiden Spiegel einer Sache in ihren unterschiedlichen Ausführungen zeigen, dass sowohl in den USA als auch in Deutschland noch lange keine Gleichheit herrscht. Manchmal denke ich, wir glauben, dass wir mit Siebenmeilenstiefeln von allem Vergangenen weglaufen, wie beispielsweise dem Rassismus. Und dass wir nicht merken, dass wir dabei direkt auf das zulaufen, was wir glauben, hinter uns gelassen zu haben.

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